BIOGRAPHIE
Odysseus im 19. Jahrhundert
Kindheit und Jugend
Ende der kindlichen Idylle
Durch Fleiß zum Erfolg
Wohlstand und Ansehen
Goldfieber
Reichtum und Familie
Bildung und Reisen
Suche nach neuem Lebensziel
Vom Autor zum Ausgräber
Neuordnung seines Lebens
Trojan. Traum und Wirklichkeit
Grabungen in Troja (1871-1873)
Schatz des Priamos
Trojas Fluch und Segen
Agamemnon und Mykene
Anerkennung und Kritik
Zurück nach Troja 1878/79
Die Schenkung
Orchomenos und Troja
Herakles und Minos
Die Verteidigung Trojas
LEBENSLAUF
Kurzfassung
seines Lebens
ALBUM &
GALERIE
Bilder rund um Schliemann
Gedenkstätte Neubukow
Die Kunstgalerie
LITERATUR
Empfehlenswerte Bücher
SITESEEING
Die Linksammlung
Obwohl der eingebürgerte Schliemann Russland mittlerweile als neue Heimat betrachtete, entschloss er sich im Dezember 1850, seine Petersburger Geschäfte zu liquidieren, um nach Amerika zu reisen. Als Grund nennt er in seinem Tagebuch die Absicht, den Nachlass des jüngeren Bruders Ludwig, der 1848 nach Amerika ausgewandert und im Mai 1850 in Sacramento/ Kalifornien an Typhus gestorben war, zu regeln.
Die Tatsache, dass er alles Kapital in Devisen umwechselte und mit sich nahm, lässt auf das Vorhaben schließen, dass er beabsichtigte, auszuwandern. Motive für diese Veränderung mögen wohl auch aus privaten Enttäuschungen erwachsen sein. So sehr ihm in geschäftlichen Belangen das Glück zur Seite stand, privat war er erfolglos. Bereits in seinem ersten Geschäftsjahr in Petersburg, als er sich wirtschaftlich dazu in der Lage sah, eine Frau zu ernähren, traf er Vorbereitungen zur Heirat mit seiner Jugendfreundin Minna. Über einen Freund im mecklenburgischen Neu-Strelitz ließ er um ihre Hand anhalten und musste erfahren, dass Minna wenige Tage vor seinem Antrag die Frau eines anderen Mannes geworden war. Diese Nachricht traf ihn schwer: "ich fühlte mich unfähig zu irgendwelcher Beschäftigung und lag krank darnieder". Nachdem er sich von dieser Enttäuschung erholt hatte, begab sich der begüterte Junggeselle beharrlich in St. Petersburg auf Freiersfüße und wähnte sich nacheinander bei drei Damen am Ziel seiner Wünsche. Doch in allen Fällen zerschlugen sich seine Hoffnungen schon nach kurzer Zeit, teils aus Untreue der Dame, teils aus anderen Gründen.
Diese privaten Misserfolge mögen ihm wohl den Weggang erleichtert haben, und gleich zum Anfang seines amerikanischen Tagebuchs notiert er eingehend Beobachtungen über die holde amerikanische Weiblichkeit, die ihn jedoch enttäuschte. "Sei es, dass die amerikanischen Schönheiten sich nicht genug in der frischen Luft bewegen, sei es, dass der rasche Temperaturwechsel daran schuld ist - jedenfalls welkt hier das schöne Geschlecht auffallend schnell; in der Regel sehen die Damen mit 22 schon alt und verbraucht aus, während sie mit 16 und 18 schön und ebenmäßig sind." Zudem entsprachen die Damen in ihren Verhaltensweisen nicht Schliemanns Ansprüchen an Anstand und Sitte: "Das schöne Geschlecht ist hier zwar etwas solider als in Frankreich, aber viel leichtlebiger als die Töchter des schönen England. Allzu große Lebhaftigkeit und ein starker Hang zum Frivolen und Amüsanten sind die Haupteigenschaften der Yankee-Töchter." Ausschlaggebend war aber wohl die Hoffnung Schliemanns, am Goldfieber, das in Amerika ausgebrochen war, zu partizipieren. Und wieder einmal wies ihm sein Geschäftssinn den richtigen Weg.
Die Reise, die er am 10. Dezember 1850 in Petersburg antrat, war anstrengend und turbulent und fand am 10. Januar 1851 ein vorläufiges Ende, als mitten auf dem Atlantik im Sturm "die Hauptwelle" des Schiffes brach und "beide Maschinen zugleich dienstunfähig wurden". Mit Hilfe rasch zusammengenähter provisorischer Segel wurde schließlich die Küste Irlands erreicht. Unbeeindruckt von dieser neuerlich schlechten Erfahrung auf See, schiffte sich Schliemann am 1. Februar wieder Richtung Amerika ein. Nach ein paar Tagen Aufenthalt in New York zur Kontaktaufnahme mit Geschäftsleuten setzte er die Reise mit der Bahn in Richtung Florida fort und von dort per Schiff an die Landenge nach Panama. Die Pazifikseite erreichte er zusammen mit den Mitreisenden teils in abenteuerlichen und gefährlichen Fußmärschen durchs Gebirge, teils in den Booten der Eingeborenen.
Mit dem Dampfer die Küste entlang erreichte er schließlich am 2. April 1851 das Golden Gate vor San Francisco, das ihn zugleich faszinierte wie abstieß: "Der Neuankömmling ist erstaunt, wenn er das geschäftige Treiben in dieser Stadt von 40.000 Einwohnern sieht und daran denkt, dass sie erst seit 18 Monaten existiert; vorher standen hier nur einige Holzhäuser." Nach wenigen Tagen brach er auf nach Sacramento City, seinem Bestimmungsort, und suchte das Grab seines Bruders. Er "gab dem Leichenbestatter 50 Dollar für einen schönen Marmorgrabstein mit Inschrift" und wandte sich dann dem Geschäftsleben dieser Goldgräberstadt zu. Anfänglich stießen ihn die brutalen Geschäftsmethoden, die der Goldrausch hervorgerufen hatte, ab: "Jeder Tag gibt mir neue und schlagende Beweise für den scharfen und schlauen Charakter der Leute, mit denen zu leben ich verurteilt bin. Zuerst überhäufen sie mich mit Höflichkeiten und Artigkeiten, machen mich zum Vertrauten von tausend kleinen Konfidenzen, und wenn sie glauben, dass sie mir nun volles Vertrauen eingeflösst haben, dann versuchen sie, mich zu betrügen. Aber da ich hier jedermann für einen Schurken ansehe und meine Augen offen halte, misslingt ihnen ihr Versuch, aber sie, keineswegs entmutigt, probieren, mich gleich ein zweites Mal zu hintergehen. Erst wenn sie erneut in ihren Hoffnungen enttäuscht werden, lassen sie von mir ab." Auch eine andere Beobachtung stimmte ihn unsicher: "Ich dachte hier einen großen Reichtum zu finden, aber darin hatte ich mich geirrt. Die wilden Spekulationen der verschiedensten Art, insbesondere die in Grundbesitz, haben fast jedermann zugrunde gerichtet, und Männer, die vor einem Jahr noch Hunderttausende wert waren, haben nun nichts." Trotzdem festigte sich bei Schliemann nach einiger Zeit der Entschluss, sich fest in Sacramento City niederzulassen. Die geschäftliche Etablierung wollte allerdings nicht so richtig voranschreiten: "Meine einzige hier ist Geldleihen auf Hypotheken in Ländereien und Häusern; daher habe ich fast nichts zu tun..." Sein Ausweg aus dieser ihn zermürbenden Situation bestand aus Reisen.
Er suchte sich zu orientieren und besuchte sowohl landschaftlich reizvolle Gegenden als vor allem auch Siedlungen an den Goldminen. Endlich im Juli 1851 fand auch Schliemann seine "Goldader". Er bekam Kontakt zum Hause Rothschild, das in San Francisco über eine Bankniederlassung verfügte, und eröffnete eine eigene Bank in Sacramento City für den "Ankauf von Goldstaub und für den Verkauf von Zahlungsmitteln der europäischen Länder und der Vereinigten Staaten". Bereits zum 1. September beschäftigte er drei Angestellte in seiner Bank, die er von sechs Uhr früh bis zehn Uhr nachts offen hielt und die "von früh bis spät mit Menschen aus allen Nationen voll gepresst, gestopft und gerammelt" war. Nach zwei Monaten Geschäftsbetrieb konnte er bereits folgende Bilanz ziehen: "Mein Geschäft geht nun in großem Maßstab vonstatten, und meine Gewinne sind groß. Wenn ich mir in früheren Jahren vorgestellt hätte, dass ich einmal ein Viertel von dem haben würde, was ich nun verdiene, so würde ich mich für den glücklichsten der Sterblichen gehalten haben." Bis Ende März 1852 konnte er sein aus Russland mitgebrachtes Vermögen (50.000 Taler, das sind ungefähr 150.000 Mark) verdoppeln. Trotz dieses immensen Erfolges entschloss er sich zur Rückkehr in "mein geliebtes Russland, mein bezauberndes Petersburg".
Das ausschlaggebende Motiv für diesen Schritt war Schliemanns angegriffene Gesundheit. Erstmals am 4. Oktober 1851 brach bei ihm Fieber aus. Die Ärzte verabreichten ihm "Chinin und Calomel (eine Quecksilberverbindung), aber trotz dieser giftigen Medizin triumphierte zuletzt meine kräftige Konstitution..." Einen Rückfall, so befürchteten die Ärzte, werde Schliemann nicht überstehen. Entgegen dieser Prognose überstand Schliemann sogar zwei Rückfälle. Doch er hatte vorgesorgt. Sofort nach Ausbruch des Fiebers ließ er sich aus der Stadt wegbringen, da er das "giftige Klima von Sacramento" als Auslöser verdächtigte. Bei seiner Ankunft im Frühling schien ihm das Klima sehr zu behagen: ... die Tage sind heiß, die Nächte kühl und erfrischend, und das mag ich...". Im Sommer jedoch begann er unter den klimatischen Verhältnissen zu leiden: "Die fortgesetzte große Hitze mit 100 bis 125 Grad Fahrenheit (37-51 Grad Celsius), die die Verwesung tierischer und pflanzlicher Stoffe beschleunigt, und die Ausdünstung der vielen Sümpfe und Teiche und stehenden Gewässer rund um die Stadt - alles das trägt dazu bei, die Luft zu verpesten und viele Krankheiten hervorzurufen."
Ein anderer Beweggrund erleichterte ihm den Entschluss, seine Zelte in Amerika wieder abzubrechen. Er sah seinen Gewinn bedroht, und zwar von zwei Seiten. Durch immer wieder neu entdeckte Minen befürchtete Schliemann eine Entwertung des Goldpreises einerseits, andererseits war er die ohnedies tägliche Gefahr des verbrecherischen Umfelds leid. Noch am 7. April 1852, dem Tag der Übergabe seines Geschäfts an einen Agenten Rothschilds, nahm er das nächste Schiff nach Europa. Die Rückreise brachte neben den bekannten Mühsalen auch höchste Gefahr für Leben und Gut. Die Heimkehrer aus dem Goldfundgebiet waren bevorzugte Opfer für Diebe, und mehr als einer unter Schliemanns Reisegefährten verlor seine Habe. Besonders bei der Ankunft in Panama wurden viele Schiffspassagiere brutal beraubt. Schliemann wusste sich zu schützen: " ... ich saß auf meinem Gepäck, meinen Revolver in der Hand,... und drohte, den ersten, der versuchen würde, etwas von meinem Gepäck wegzutragen, zu erschießen oder zu erstechen." Da die Regenzeit eingesetzt hatte, gestaltete sich die Durchquerung der Landenge von Panama mühsam. Die größte Enttäuschung aber bei der Ankunft an der Atlantikküste war, dass der anvisierte Dampfer bereits nach New York abgefahren war. Ohne Unterkunft und Nahrung, der Witterung und den Moskitos, Skorpionen und Schlangen ausgesetzt, verbrachte die Reisegruppe zwei furchtbare Wochen:" Hunderte von und wurden vom Isthmusfieber, Diarrhoe, Ruhr und Wechselfieber befallen und starben... Die Toten blieben dort liegen, wo sie waren, denn keiner konnte oder wollte sie begraben. Der Gestank und die giftigen Dünste... verschlimmerten die Lage immer mehr." Am 8. Mai erschien endlich ein Dampfer, der die Passagiere aufnahm und sie am 18. Mai nach New York brachte. Trotz der ausgestandenen Strapazen setzte Schliemann bereits am nächsten Tag seine Reise fort und gönnte sich erst nach seiner in Liverpool und der Erledigung der wichtigsten Geschäftsanliegen einige Tage ärztlicher Behandlung seines offenen Beines. Die verordnete Bettruhe konnte er nur drei Tage durchhalten. Es trieb ihn weiter nach paris, wo er sich erneut in ärztliche Behandlung begab und die Zeit bis zur Heilung zu intensiven Exkursionen in Paris und dem Umland nutzte, um auch seiner Unrast Herr zu werden.
Auf
der Heimreise nach Petersburg machte er eine Unterbrechung in Mecklenburg,
um seine Heimat nach mehr als 20 Jahren wiederzusehen. Das Land, an dem
er mehrmals "mit der größten Gleichgültigkeit"
vorübergereist war, weckte in ihm "Tausend schöne Erinnerungen".
Er suchte die Stätten seiner Kindheit auf, doch blieb er überall
nur wenige Stunden.