BIOGRAPHIE
Odysseus im 19. Jahrhundert
Kindheit und Jugend
Ende der kindlichen Idylle
Durch Fleiß zum Erfolg
Wohlstand und Ansehen
Goldfieber
Reichtum und Familie
Bildung und Reisen
Suche nach neuem Lebensziel
Vom Autor zum Ausgräber
Neuordnung seines Lebens
Trojan. Traum und Wirklichkeit
Grabungen in Troja (1871-1873)
Schatz des Priamos
Trojas Fluch und Segen
Agamemnon und Mykene
Anerkennung und Kritik
Zurück nach Troja 1878/79
Die Schenkung
Orchomenos und Troja
Herakles und Minos
Die Verteidigung Trojas
LEBENSLAUF
Kurzfassung
seines Lebens
ALBUM &
GALERIE
Bilder rund um Schliemann
Gedenkstätte Neubukow
Die Kunstgalerie
LITERATUR
Empfehlenswerte Bücher
SITESEEING
Die Linksammlung
Am ersten Weihnachtstag 1890 brach auf der Piazza della Santa Carita in Neapel ein Mann ohnmächtig zusammen, der weder Ausweispapiere noch Geld bei sich trug. Im Krankenhaus wurde er deshalb nicht aufgenommen, sondern ins nächste Polizeirevier weitertransportiert.
Erst über ein zufällig in seiner Tasche steckendes Arztrezept konnte die Identität des Schwerkranken festgestellt werden: Der Mann, dem nicht einmal ärztliche Notversorgung zugute kam und der wie ein Bettler abgeschoben wurde, war kein Geringerer als Dr. Heinrich (Henry) Schliemann; Millionär und berühmter Ausgräber des homerischen Troja, deutscher Abstammung, ehemaliger Bürger des russischen Zarenreiches und erbliches Mitglied der Großkaufmannsgilde von St. Petersburg, seit 1869 amerikanischer Staatsbürger, mit Wohnsitz in Athen, Paris, New York und Indianapolis, seit 1881 Ehrenbürger von Berlin.
Am 26. Dezember starb dieser zur damaligen Zeit berühmte, wenn auch umstrittene Mann allein und fern seiner Familie im Hotel an den Folgen seiner Ohrenoperation, während seine behandelnden Ärzte im Nebenzimmer konferierten. Dass der Tod Heinrich Schliemann auf einer Reise ereilte, ist bezeichnend für sein ganzes Leben, das durch eine auch nach heutigen Maßstäben außerordentlich intensive Reisetätigkeit geprägt war.
Nicht allein die Häufigkeit, sondern vor allem auch die Distanzen, die er dabei zurückgelegt hat, sind beeindruckend. Ob er von St. Petersburg über Paris und London nach New York oder über Panama nach Los Angeles reiste - ein Besuch von Jamaika und Kuba eingeschlossen - oder über Indien nach China und Japan, ob er den Nil in Ägypten hinauffuhr oder kreuz und quer durch Europa, Kleinasien und den Vorderen Orient reiste, Schliemann kann im wahrsten Sinne des Wortes als Weltreisender bezeichnet werden.
Zu Schliemanns Zeit, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, waren damit andere Zeitaufwendungen und Strapazen verbunden als dies für uns heute der Fall ist. Die Reise von St. Petersburg nach Los Angeles dauerte z.B. vom 10. Dezember 1850 bis zum 02. April 1851. Und dies selbstverständlich unter den Bedingungen der damaligen Transportmittel wie Schiff, Bahn, Postkutsche - Fußmärsche und Bootsfahrten miteingeschlossen: "Wir hatten Räder unter unserem Postwagen und konnten durch den tiefen Schnee (in St. Petersburg) nur langsam vorwärts kommen,... und am vierten Tag unserer Reise langten wir in Riga an der Düna an... Da das Eis der Düna nicht stark genug war,... wurden wir mitsamt unserem Gepäck über den Fluss gerudert. Auf der anderen Seite stand ein anderer Postwagen mit Pferden bereit."
Und trotzdem kann Schliemann nicht als Weltenbummler bezeichnet werden. Seine Reisen waren alle zweckgebunden und dienten dem Fortgang seiner Geschäfte wie auch der Pflege seiner Gesundheit oder der Bildung, und vor allem, in späteren Jahren, seinen archäologischen Interessen. Reisen bringt immer - zu Odysseus` Zeiten, und auch heute - Gefahren mit sich. Und Schliemann überstand deren einige, zu Land und zu Wasser. Trotzdem muss die besondere Konstellation in der Zeit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts betont werden, die eine solche Freizügigkeit zuließ.
Jeder Mensch ist trotz aller Individualität auch Kind seiner Zeit, und so wäre es Schliemann ein viertel oder ein halbes Jahrhundert früher nicht möglich gewesen, den ägäischen Raum zu bereisen oder gar in Athen seinen Wohnsitz zu nehmen und Ausgrabungen durchzuführen, die ihn unsterblich machten und das Interesse der Nachwelt an seiner Person und seinem Leben wachhalten. Denn in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts herrschte Krieg zwischen der Türkei, dem damaligen Osmanischen Reich und Griechenland, das sich in erbitterten Kämpfen von der türkischen Fremdherrschaft zu befreien suchte. Auch das Interesse Schliemanns an der griechischen Kultur allgemein und an archäologischen Ausgrabungen insbesondere muss im Rahmen der geistigen Determination seiner Zeit gesehen werden.